Charles² – Pharma Insights

Wie Daten aus der Versorgung die Medizin verbessern können

Episode Summary

Mit klinischen Studien weisen pharmazeutische Hersteller die Wirksamkeit und die Verträglichkeit neuer Medikamente nach. Erst auf Basis einer umfassenden klinischen Prüfung kann eine Zulassung beantragt werden. Als Ergänzung zu den Erkenntnissen aus den klinischen Studien können Daten von Krankenkassen, aus Krankenhäusern und Praxen wertvolle Informationen liefern. Voraussetzung allerdings ist bei sogenannten Real World Data (RWD), dass sie richtig erhoben und geteilt werden. Zu den Quellen von Daten aus dem Versorgungsalltag zählen Abrechnungsdaten, die von den Krankenkassen erfasst werden, und Register. Welche Arten von Registern es gibt, erläutert Kinderärztin Dr. Tatjana Gabbert, die an verschiedenen Kliniken in Berlin praktiziert hat, bevor sie zu Pfizer wechselte. Dr. Henning Witt ist Biotechnologe und betreibt seit 20 Jahren kardiovaskuläre Forschung. Friedhelm Leverkus ist Statistiker. Ein Team in seiner Abteilung beschäftigt sich mit der Planung, Auswertung und Interpretation von Studien zur Versorgungsforschung, zur Lebensqualität und epidemiologischen Studien.

Episode Notes

Mit klinischen Studien weisen pharmazeutische Hersteller die Wirksamkeit und die Verträglichkeit neuer Medikamente nach. Erst auf Basis einer umfassenden klinischen Prüfung kann eine Zulassung beantragt werden. Als Ergänzung zu den Erkenntnissen aus den klinischen Studien können Daten von Krankenkassen, aus Krankenhäusern und Praxen wertvolle Informationen liefern. Voraussetzung allerdings ist bei sogenannten Real World Data (RWD), dass sie richtig erhoben und geteilt werden. Zu den Quellen von Daten aus dem Versorgungsalltag zählen Abrechnungsdaten, die von den Krankenkassen erfasst werden, und Register. Welche Arten von Registern es gibt, erläutert Kinderärztin Dr. Tatjana Gabbert, die an verschiedenen Kliniken in Berlin praktiziert hat, bevor sie zu Pfizer wechselte. Dr. Henning Witt ist Biotechnologe und betreibt seit 20 Jahren kardiovaskuläre Forschung. Friedhelm Leverkus ist Statistiker. Ein Team in seiner Abteilung beschäftigt sich mit der Planung, Auswertung und Interpretation von Studien zur Versorgungsforschung, zur Lebensqualität und epidemiologischen Studien. Weitere Informationen gibt es unter www.pfizer.de/podcast-charles2.

Episode Transcription

Titel der Folge: Wie Daten aus der Versorgung die Medizin verbessern können

Anmoderation: Wenn es darum geht, die Wirksamkeit und die Sicherheit neuer Wirkstoffe zu ermitteln, sind klinische Studien der Goldstandard. Doch nicht jede Frage, die für die Versorgung von Patientinnen und Patienten relevant ist, lässt sich über solche Studien beantworten. Was können an dieser Stelle Daten aus dem Versorgungsalltag und der klinischen Praxis bringen? Und wie können sie die Medizin verbessern? Versorgungsforschung ist das Thema dieser Folge von „Charles² – Pharma Insights“, einem Podcast von Pfizer Deutschland. Ich bin dort Kommunikationsmanagerin, heiße Anke Kugelstadt und spreche für diesen Podcast mit Kolleginnen und Kollegen.

Moderation: Friedhelm Leverkus konnten Sie bereits in Folge 1 unserer 2. Staffel hören. Er ist Statistiker und ein Team in seiner Abteilung beschäftigt sich mit Studien zur Versorgungsforschung, zur Lebensqualität und epidemiologischen Studien. Zunächst geht er für uns noch mal darauf ein, was randomisierte klinische Studien für die Entwicklung neuer Medikamente unverzichtbar macht.

F. Leverkus: Mit diesen Studien weisen wir die Wirksamkeit und Verträglichkeit unserer Medikamente nach. Für die Zulassung sind diese RCTs, sprich randomisierten Clinical Trials, die Regel. Aber auch außerhalb der Zulassung wird mit den RCTs Wissen generiert. Diese Studienformen haben die höchste Evidenz und die höchste Aussagekraft.

Moderation: Ihre hohe Aussagekraft gewinnen klinische Studien durch die Randomisierung.

F. Leverkus: Es erfolgt eine zufällige Verteilung der Patienten auf die Intervention, die ich untersuchen will. Damit sind die Störvariablen kontrolliert und ausgeschlossen. Wir sagen deshalb kausale Schlüsse sind möglich. Das heißt, wenn wir Effekte sehen, können wir sehr sicher sein, dass wir diese auf die Intervention zurückführen können und dass dies nicht von einem Alter oder anderen Faktoren abhängt.

Moderation: Durch die zufällige Verteilung, wer in der Studie eine Intervention – zum Beispiel einen neuartigen Wirkstoff – erhält, und wer nicht, können auftretende Veränderungen zugeordnet werden. Zum Beispiel, ob eine Besserung von Schmerzen, eine Abnahme eines erhöhten Blutdrucks oder Ähnliches auf den neuartigen Wirkstoff zurückzuführen ist. Dafür werden die Teilnehmenden der Studie von einer zentralen Stelle zufällig verschiedenen Gruppen zugeteilt. Anders ist das, wenn man eine Beobachtungsstudie durchführt.

F. Leverkus: Wenn ich jetzt eine reine Beobachtungsstudie mache, und ich möchte zwei Medikamente vergleichen, dann entscheidet der Arzt ja drüber, welcher Patient welches Medikament bekommt. Das heißt, im Prinzip vergleiche ich ja dann nicht die Medikamente, sondern ich vergleiche Patienten, die die Medikamente bekommen. Möglicherweise sagt der Arzt ja, du bist besonders krank, bei dir hilft nichts mehr. Du kriegst das neue Medikament, wo ich ja noch nicht so genau weiß, wie das mit den Nebenwirkungen ist. Und du, du bist ja gut dabei. Du bist nicht so schwer krank, ich nehme das Standardmedikament wie immer.

Moderation: Damit die Gruppen vergleichbar sind, entscheidet bei randomisierten klinischen Studien der Zufall über die Zuteilung. Allen, die mehr darüber und zu Begriffen wie Verblindung, placebokontrolliert etc. wissen möchten, sei herzlich Folge 3 der ersten Staffel dieses Podcasts ans Herz gelegt. In dieser Folge soll der Schwerpunkt hingegen darauf liegen, wie Daten aus dem Praxis- und Klinikalltag die Medizin verbessern können. Friedhelm Leverkus nennt Beispiele für Fragen, die durch Daten aus der Versorgung beantwortet werden können.

F. Leverkus: Wenn ich wissen möchte, wieviel Patienten eine gewisse Erkrankung haben. Wir sagen dazu die Inzidenz und die Prävalenz. Da geht man in Versorgungsdaten rein, geht in Kassendaten rein und kann die Anzahl der Patienten, die diese Erkrankungen haben oder eine gewisse Ausprägung der Erkrankung schätzen. Oder, das haben wir auch mal gemacht, wie werden die Patienten mit einer gewissen Indikation behandelt? Wenn jetzt jemand Schmerzpatienten ist, wie durchläuft er das System? Geht er zum einen Arzt, nimmt vier Wochen Tabletten. Das hilft nicht. Dann geht er zum anderen Arzt und so kann man so gewisse Patientenpfade, manchmal Leidenspfade abbilden, kann die erkennen. Man kann auch mal sehen, welche Patienten sollten eigentlich auch Medikamente bekommen, bekommen sie aber nicht. Welche Patienten, werden Leitlinienhaft behandelt, welche nicht?

Moderation: Eine weitere Fragestellung kann sein, ob man in der alltäglichen Versorgung in den Krankenhäusern und Praxen, die in klinischen Studien beobachteten Effekte wiederfindet. Dazu sagt der Statistiker.

F. Leverkus: Es ist nicht bei jedem Medikament eine relevante Frage, aber das kann manchmal auch interessant sein und macht uns schlauer. Wir müssen hierbei komplexe statistische Modelle anwenden, um möglichst nah an einen kausalen Schluss ranzukommen. Da ist in den letzten Jahren sehr viel Forschung von Statistikern, Epidemiologen betrieben worden. 

Moderation: Und auch in ein ganz anderes Feld, der Ökonomie, haben solche Ansätze inzwischen Einzug erhalten. 2021 wurde der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für Verdienste auf dem Gebiet des Designs, der Analyse und Interpretation von Beobachtungsstudien verliehen. Denn diese Methodiken erlauben unter gewissen Bedingungen ursächliche Rückschlüsse. Das gilt auch für die medizinischen Forschung.

F. Leverkus: Man kann auch nicht, für jede einzelne Fragestellung eine randomisierte klinische Prüfung machen. Beispiel, dass man sagt: Okay, nehme ich jetzt das Medikament A vor Medikament B? Oder nehme ich das Medikament B vor A? Das sind natürlich auch Dinge, die man, die man, wenn man es gut macht und richtig macht, die man auch mit Versorgungsdaten beantworten kann, insbesondere wenn es klare Effekte sind. Es gibt eine Vielzahl von Fragestellungen, die man mit Real-World-Daten beantworten kann. Man muss es nur vernünftig machen. Das ist jetzt keine Reisekostenrechnung oder ein Programm, wo man aufs Knöpfchen drückt, sondern da müssen Mediziner und Statistiker genau gemeinsam dran arbeiten, um wirklich valide Schlüsse rauszukriegen. Und das Tolle ist, hoffe ich jedenfalls, dass es mit der Digitalisierung weitergeht. Und wir bekommen auch mehr Daten, aus denen wir unsere Schlüsse ziehen können. Mehr Daten, aus denen wir lernen können und die Versorgung des Patienten verbessern können.

Moderation: Welches Potenzial die Digitalisierung in Zukunft bietet, werden wir in der nächsten Podcast-Folge noch näher beleuchten. Doch können wir von Behandlungsdaten aus der Versorgung bereits mit den Mitteln von heute einiges lernen. Aber wo werden solche Daten eigentlich gewonnen? Maßgeblich geschieht dies in den ärztlichen Praxen. Dr. Henning Wittist Biotechnologe, arbeitet seit 7 Jahren bei Pfizer und seit 20 Jahren in der kardiovaskulären Forschung. Er erklärt genauer, wie Abrechnungsdaten, die letztlich die Krankenkassen sammeln, erhoben werden.

H. Witt: Wenn z.B. ein Patient in eine Praxis kommt oder in eine Klinik, dann werden sowohl die Krankheiten, die dort festgestellt werden, als auch die Medikamente, die verschrieben werden, oder die Operationen, die durchgeführt werden, in einer Software dokumentiert. Und diese Dokumentation erfolgt in Form von Codes. Codes heißt hier, dass es für ein bestimmtes Krankheitsbild oder für eine bestimmte Medikation eine Codierung gibt, die im Rahmen einer Klassifikation von allen Ärzten gleichermaßen benutzt wird. Also z.B. für ein Bluthochdruck, werden alle Ärzte in Deutschland den gleichen ICD-Code benutzen. Welche Codes gibt es nun? Das sind zum einen die gerade eben schon erwähnten ICD-Codes für unterschiedliche Erkrankungen, dann gibt es die ATC-Codes welche für Medikamente genutzt werden und OPS-Codes für durchgeführte Operation oder Prozeduren. In der Summe der Dinge kann man mit diesen Codes also sehr gut abbilden und beschreiben, was eigentlich mit dem Patienten in der ärztlichen Versorgung passiert ist. Am Ende werden diese Codes an die Krankenkasse zu Abrechnungszwecken übertragen und dort gesammelt.

Moderation: Aus solchen Abrechnungsdaten kann man einiges lernen, weil sie abbilden, was diagnostiziert und was verschrieben wird.

H. Witt: Und das kann z.B. interessant sein für Medikamente. Werden diese eigentlich gemäß der Zulassung, wie sie durch die Arzneimittelbehörden vorgeschrieben sind, eingesetzt? Oder weichen aber auch z.B. davon ab und das ist oft der Fall. Oder aber und das ist gerade für die medizinischen Fachgesellschaften interessant: Folgen die Ärzte eigentlich ihren Leitlinienempfehlung oder weichen sie davon ab?

Moderation: Leitlinien zur Behandlung werden in der Regel durch medizinische Fachgesellschaften erstellt.

H. Witt: Dort finden sich in Gremien die wichtigsten Experten zusammen und die gesamte verfügbare Evidenz, also die Datenlage sich ansehen. Das sind im Wesentlichen natürlich die klinischen Studien, aber durchaus auch Daten aus den Versorgungsalltag, sich ansehen und daraus Empfehlung ableiten. In den Leitlinien ist letztlich abgebildet, was die beste Therapieoption für die Patienten darstellt. Also, wenn man nach Leitlinie behandelt, dann kann man erwarten, dass – Erkenntnisstand heute – auch der beste Therapieerfolg erzielt werden kann für den Patienten.

Moderation: Deswegen interessiert es die Fachgesellschaften zu erfahren, ob bzw. wie schnell neue Leitlinien in der Versorgung ankommen.

H. Witt: Und dann fragen sich die medizinischen Fachgesellschaften oft: Setzen das die Ärzte eigentlich in die Praxis um, was wir hier vorschlagen, oder braucht es noch Zeit oder sie weichen davon ab. Wenn man das jetzt ansieht, dann ergeben sich daraus gegebenenfalls Anpassung oder Anforderung, wie die Versorgung im Praxisalltag verbessert werden kann.

Moderation: Doch zurück zu den Abrechnungsdaten und was sie bringen können. Die ICD-Codes, mit denen Erkrankungen dokumentiert werden, können auch Risikofaktoren abbilden.

H. Witt: Risikofaktoren, die uns helfen können, das individuelle Risiko eines Patienten, der z.B. gerade vor dem Arzt sitzt, einschätzen zu können, möglicherweise weit schwerwiegendere Krankheiten zu entwickeln. Und das ist wichtig, denn dann kann der Arzt natürlich aktiv werden. Er kann sich den Patienten angucken und durch weitere Untersuchung abklären, ob hier wirklich ein Risiko besteht. Dann kann der Arzt natürlich aktiv werden und versuchen durch präventive Maßnahmen einer möglicherweise viel schwerwiegenderen Folgeerkrankung vorzubeugen. Also eine frühe Diagnose oder ein frühes Verstehen eines Risikos kann natürlich durch viel leichtere Interventionen, wie z.B. eine Änderung des Lebensstils, eine Veränderung der Ernährungsgewohnheiten helfen schwerwiegende Krankheiten, die gegebenenfalls eben auch durch Medikamente oder Operation behandelt werden müssen, vorzubeugen.

Moderation: Eigene Untersuchungen betreibt Henning Witt mit dem Team von Friedhelm Leverkus zu einer bestimmten Herzrhythmusstörung. Diese Störung wird Vorhofflimmern genannt und ist weit verbreitet.

H. Witt: Ein paar Millionen Deutsche sind von Vorhofflimmern betroffen. Für sich genommen ist Vorhofflimmern in der Regel erstmal nicht lebensbedrohlich. Die Herzfunktion ist zwar leicht eingeschränkt, aber das was es für das Krankheitsbild relevant macht, ist das mit dem Vorhofflimmern ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Schlaganfall einhergeht. Das entsteht durch Gerinnsel, die im Blutstrom entstehen.

Moderation: Abrechnungsdaten können nun auf verschiedene Weise dazu beitragen, das Wissen über Vorhofflimmern zu verbessern.

H. Witt: Abrechnungsdaten helfen hier zu verstehen, wie viele sind eigentlich davon betroffen von dieser Herzrhythmusstörung. Wie werden diese diagnostiziert? Welche Eigenschaften haben die Patienten, wie alt sind sie z.B.? Und dann natürlich auch ganz wichtig, wie werden diese Patienten behandelt damit eben eine schwere Folgeerkrankung, wie ein möglicher Schlaganfall hoffentlich ausbleibt. Das ist auch wichtig. Diese Abrechnungsdaten beinhalten aber auch wieder die Risikofaktoren. Die Risikofaktoren, die möglicherweise zu einem Entstehen von Vorhofflimmern führen und wenn man das versteht, auch der behandelnde Arzt das versteht, kann er wieder auf den Patienten zugehen und intervenieren und gegebenenfalls Therapien oder Lebensstiländerung herbeiführen.

Moderation: Risikofaktoren für Vorhofflimmern sind beispielsweise Bluthochdruck oder Diabetes, also Erkrankungen, die selbst wiederum das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen können. Doch können Abrechnungsdaten es ermöglichen, bessere Therapieentscheidungen zu treffen?

H. Witt: Ja das denke ich. Also zum einen für den individuellen Patienten, wie wir das gerade angesprochen haben, aber es kann natürlich auch insgesamt helfen besser zu verstehen, wie vielversprechend Therapieoption für einen Patienten sind. Denn natürlich gibt es Unterschiede zwischen klinischen Studien und dem Versorgungsalltag. Denken wir einfach nur mal an die Probanden, die in eine klinische Studie eingeschlossen werden. Üblicherweise sind da natürlich bestimmte Probanden unterberücksichtigt, also z.B. solche, die psychische Störung haben, die drogenabhängig sind, die einen Migrationshintergrund haben und vielleicht sprachliche Barrieren bestehen. Oder ganz wichtig auch das Kollektiv derer, die im Altersheim sind und die natürlich schwerlich an Studien, die in Studienzentren durchgeführt werden, in dem Maße teilnehmen können wie andere. Oder aber Erkrankung können heterogen sein. Sie können schwerer sein, weniger schwerwiegend und auch da möchte man natürlich verstehen, ob die Therapie, die hier die Option für den Arzt darstellt, auch wirklich für den Patienten die wichtigste und Beste ist. Aber es geht natürlich allgemein um die Verträglichkeit und ich glaube das ist ein ganz wichtiger Punkt bei Abrechnungsdaten. Sie können einfach unglaublich groß sein, diese Datensätze, und es gibt Studien mit hunderttausenden von Patienten, die dort eingeschlossen wurden in solche Analysen. Und das ist zwangsläufig größer als das was klinische Studien bieten können, wo die üblichen großen aber auch mehrere zehntausend Patienten beinhalten.

Moderation: Abrechnungsdaten können auch dabei helfen Behandlungsstrategien besser zu beurteilen. Das kann ein besseres Management von Nebenwirkungen sein, aber auch die beste Reihenfolge, in welcher Behandlungsmöglichkeiten zum Einsatz kommen.

H. Witt: Also oft ist es so, dass zwar nachgewiesen ist, dass eine Therapieoption grundsätzlich ein Vorteil für den Patienten bringt, aber gar nicht ganz klar ist bei welchem Schweregrad einer Erkrankung oder wann nach einer Diagnose z.B. eine solche Therapieoption Anwendung finden sollte. Und da kann der Blick in die Versorgung sehr helfen, wenn man da den bunten Strauß an Möglichkeiten abgebildet hat, wenn man sich das ansieht, dass man das besser beurteilen kann, wann der richtige Zeitpunkt ist eine bestimmte Maßnahme zu ergreifen.

Moderation: Wichtig zu wissen ist, dass solche Analysen mit anonymisierten Daten durchgeführt werden, die keine Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen.

Moderation: Ein weiterer Ansatz, Daten aus der Versorgung zu sammeln, sind sogenannte Register. Die Kinderärztin Dr. Tatjana Gabbert hat an verschiedenen Kliniken in Berlin praktiziert, bevor sie zu Pfizer wechselte. Sie hat selbst schon Register mit aufgesetzt und weiß daher genau, welche Chancen und Herausforderungen sie mit sich bringen. Was ein Register ist, beschreibt sie so.

T. Gabbert: Ein Register ist eine formalisierte Datensammlung, wo also nach ganz strukturierten und festgelegten Kriterien Daten zum Krankheitsverlauf von Patienten erfasst werden. Und nicht nur eines einzelnen Patienten, sondern von größeren Patientengruppen.

Moderation: Register können die Versorgungssituation auf eine geplante Art und Weise ermitteln. In der Regel werden Patientinnen und Patienten mit Gemeinsamkeiten erfasst, zum Beispiel Menschen, die eine bestimmte Erkrankung haben.

T. Gabbert: Ihre verschiedenen medikamentösen Therapien werden erfasst und dann kann man am Ende genau auswerten für diese gesamte Gruppe von Patienten, die sozusagen was gemeinsam haben, wie gut es der einen Untergruppe geht, unter ihrer Medikation, oder wie gut es einer anderen Untergruppe geht, die zum Beispiel ältere Patienten beinhaltet, versus einer Gruppe, die zum Beispiel die Kinder mehr abbildet. Und so kann man innerhalb einer Krankheit zum Beispiel sehen, wie gut oder schlecht oder sicher bestimmte Therapien angewendet werden.

Moderation: Tatjana Gabbert sieht insbesondere zwei große Aspekte, wie Register zu neuem Wissen führen können.

T. Gabbert: Zum einen sind es Sicherheitsaspekte, das ist mit der häufigste Grund, warum Register überhaupt aufgesetzt werden. Und zum anderen Effektivitätsverläufe. Und Effektivität kann hier alles abbilden, von: Wie effektiv ist eine bestimmte Gruppe an Menschen oder in dem Fall Patienten versorgt derzeit? Haben überhaupt alle eine ausreichende medizinische Versorgung? Aber auch Effektivität wirklich im Sinne von Wirksamkeitseffektivität bestimmter Medikamentengruppen. Manche Medikamente, man sieht erst nach ein paar Jahren, ob sie wirklich den schützenden Effekt hatten oder nicht und dazu bieten sich Registerstrukturen an. Sie haben diese Zeitkomponente. Weit über die Länge von einer klinischen Studie hinaus zeigen sie: Macht es wirklich Sinn, einer bestimmten Patientengruppe dieses oder jenes Medikament zu geben? Bedient es die Sicherheitswünsche, die ein Arzt hat oder eine Behörde hat? Das ist eine ganz strukturierte Datensammlung von unschätzbarem Wert auch, wenn sie denn gut und von geeigneten Stellen ausgewertet wird.

Moderation: Einen ganz besonderen Wert haben Register für Menschen mit seltenen Erkrankungen.

T. Gabbert: Selten heißt, dass einfach nur einer zum Beispiel von mehreren tausend Patienten von einer Erkrankung betroffen ist. Zum Beispiel 1 Neugeborenes von 2.500 Neugeborenen hat eine seltene Erkrankung. Und davon gibt es dann nicht genügend Patienten an einem bestimmten Zentrum oder in einer bestimmten Arztpraxis. Deswegen kann ein einzelner Arzt nie genug Erfahrung sammeln. Deswegen macht es Sinn, gerade bei seltener Erkrankung, alle Patienten, die mit dieser Erkrankung in Deutschland zum Beispiel leben, wirklich gemeinsam als Gruppe zu betrachten. Und aus allen Winkeln des Landes sozusagen deren Krankheitsverläufe an einem Ort zusammenzuführen. Und im Idealfall sogar dann alle deutschen Patienten sogar noch in ein übergeordnetes europäisches Register zu transferieren, um möglichst schnell noch mehr Wissen zu generieren zu diesen Patienten mit seltenen Erkrankungen.

Moderation: Es gibt Register, bei denen die Therapie der gemeinsame Nenner ist, also alle bekommen zum Beispiel dasselbe Medikament. Der Trend geht aber zu krankheitsgebundenen Registern. Wie man sich ein solches Register vorstellen kann, veranschaulicht Tatjana Gabbert am Beispiel der Mukoviszidose. Egal welche Behandlung sie bekommen, werden im Mukoviszidose-Register Menschen mit dieser Erkrankung gewissermaßen als Gruppe betreut.

T. Gabbert: Das ist gleich auch ein Beispiel für eine seltene Erkrankung. Die Mukoviszidose ist so ein Fall, da wird 1 von 2.000 Neugeborenen mit dieser genetischen Erkrankung geboren. Seit 2017 werden diese Kinder sogar im Neugeborenen-Screening sehr früh im Leben identifiziert und erhalten sehr schnell eine medizinische Behandlung.

Moderation: Viele Menschen mit Mukoviszidose versterben jung, oft bereits mit Mitte dreißig. Weil eine einzelne Ärztin oder ein einzelner Arzt wegen der Seltenheit der Erkrankung so wenig eigene Erfahrungen kann, ist es wichtig, möglichst alle Behandlungserfahrungen in einem Register zu sammeln.

T. Gabbert: 90 verschiedene ärztliche Behandlungseinrichtungen arbeiten zusammen. Alle speisen, wenn der Patient zur Visite beim Arzt kommt, den Verlauf dieses Patienten in das Register ein. Ursprünglich hat das mal begonnen als sozusagen, ja, eine qualitätssichernde Maßnahme für die Patienten, schon in den 90er Jahren. Heute ist es eins der am besten etablierten medizinischen Register für seltene Erkrankungen in Deutschland und speist unglaublich viel Wissen und Daten ein in Leitlinien, die wirklich die besten Therapieregimes dann, dokumentieren oder empfehlen. Es speist Wissen ein bis in internationale Publikationen, sodass auch Länder, die sich kein Register leisten können, von dem in Deutschland generierten Wissen profitieren können bei der Behandlung ihrer Patienten.

Moderation: Damit ein Register valide Schlussfolgerungen ermöglicht, muss es gut aufgesetzt sein. Am besten so, dass es internationale Zusammenarbeit und Forschung ermöglicht, sagt Tatjana Gabbert.

T. Gabbert: Ein gutes Register macht aus, dass es sinnvolle Daten erhebt, genügend Daten, aber auch nicht übermäßig viele Daten, sondern die sinnvollsten Daten, die man braucht, um eine Krankheit und deren Verlauf oder auch Sicherheitsaspekte von der Anwendung von Arzneimitteln, gut zu erfassen. Ein gutes Register macht auch aus, dass es akzeptiert ist in der Anwendung, es muss also eine gute Benutzeroberfläche haben für die Eingabe von Daten, muss zeiteffektiv, pragmatisch sein. Und für mich mit das Wichtigste ist: Register dienen der Wissensgenerierung. Das heißt, die IT-Infrastruktur dahinter muss zugänglich sein. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden, dass man Data Sharing machen kann. Also wirklich die Weiterleitung von Daten, in anonymisierter Form versteht sich, aber auch an noch größere bis zu weltweiten Registern. Daten kreieren Wissen, kreieren bessere Medizin, und das ist für mich ganz wichtig. Also auch die IT-Infrastruktur muss modern sein, anpassbar sein und Transfermöglichkeiten schaffen, bis zum weltweiten Austausch hin.

Moderation: Für die Rahmenstrukturen in Deutschland sieht sie aus ihren eigenen Erfahrungen als Ärztin heraus noch Luft nach oben.

T. Gabbert: Ganz so weit sind wir noch nicht, wie ich mir das wünschen würde. Ich habe selbst auch als Ärztin, Kinderärztin gearbeitet an Zentren, die Patienten mit seltener Erkrankung betreut haben. Und habe selbst auch schon Register in anderen Zusammenhängen mit aufgesetzt und die erste Frage ist natürlich auch hier immer die Finanzierung, gerade für seltene Erkrankungen. Da gibt es noch wenig, sage ich jetzt mal, grundsätzliche Unterstützung, obwohl ein paar gute Ansätze bestehen. 

Moderation: So viel Aufwand auch dahintersteht, Tatjana Gabbert ist fest überzeugt, dass sich Register für die Weiterentwicklung der Medizin lohnen.

T. Gabbert: Es macht Aufwand für Patienten, es macht Aufwand für die Krankenhäuser, Aufwand für den Arzt, aber am Ende steht eine Wissensgenerierung, die man eigentlich aus kaum einer anderen Quelle bekommen kann. Diese großen gebündelten Datensätze erlauben wirklich, dass sich Medizin weiterentwickeln kann. Das standardisierte, bestmögliche Medizin für den Patienten auch am Ende erfolgen kann. Für seltene Erkrankungen kann man dieses Wissen aus Registern generieren und für manch andere nicht seltene Erkrankungen wahrscheinlich auch.

Moderation: Und auch für die Sicherheit von Patientinnen und Patienten können Register einen Beitrag leisten.

T. Gabbert: Da gibt es ja ganze Bundesbehörden, die erfassen Nebenwirkungen von Medikamenten. Das kann man melden, ein Arzt hat die Meldepflicht sogar, ein Patient selbst darf auch melden. Und dieser ganze Vorgang heißt sozusagen Pharmakovigilanz, also man ist aufmerksam gegenüber Nebenwirkungen oder Sicherheitsbedenken bei Medikamenten. Und auch hier können Register natürlich einen Beitrag leisten.

Moderation: Wie Daten aus der Versorgung die Medizin verbessern können, war das Thema dieser Folge unseres Podcasts. Beim nächsten Mal wird es darum gehen, welche Rolle die Digitalisierung dabei einnimmt. Denn nicht zuletzt mit der elektronischen Patientenakte, aber auch durch Geräte wie Fitnesstracker und Apps werden immer mehr Daten erhoben. Wie kann aus Big Data bessere Medizin werden? Und was können wir vielleicht von anderen Ländern im Umgang mit solchen Daten lernen? Mehr darüber erfahren Sie in der nächsten Folge und mehr über Pfizer und diesen Podcast jederzeit unter www.pfizer.de. Wenn Ihnen „Charles² – Pharma Insights“ gefällt, empfehlen Sie uns gerne weiter. Natürlich freuen wir uns auch wenn Sie uns Abonnieren und über Bewertungen in der Apple-Podcasts-App. Wenn Sie mögen, bis zum nächsten Mal.