Charles² – Pharma Insights

Was Arzneimittel kosten dürfen

Episode Summary

In Deutschland soll sich der Preis eines Medikaments an dem Nutzen orientieren, den es bringt. Messbar kann ein Nutzen dann werden, wenn man – z. B. in einer Bewertungsmatrix – Kriterien definiert und gewichtet. Doch wie lässt sich etwas so Individuelles wie der Nutzen einer Therapie für Patient:innen messen? Die erste Folge der zweiten Staffel von Charles² – Pharma Insights beleuchtet, wie Arzneimittelpreise entstehen, welche Vorteile das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) für Patient:innen bringt und an welchen Stellen das System an seine Grenzen gerät. Auf welcher Grundlage Preise für Arzneimittel in Deutschland verhandelt werden, erläutern Verhandlungsführerin Dr. Melanie von Wildenradt, Friedhelm Leverkus, der die u. a. für die AMNOG-Nutzendossiers zuständigen Abteilung leitet, und Geschäftsführer Martin Fensch, Head of Health & Value, eines Bereichs, der sich unter anderem mit dem Prozess der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel befasst.

Episode Notes

In Deutschland soll sich der Preis eines Medikaments an dem Nutzen orientieren, den es bringt. Messbar kann ein Nutzen dann werden, wenn man – z. B. in einer Bewertungsmatrix – Kriterien definiert und gewichtet. Doch wie lässt sich etwas so Individuelles wie der Nutzen einer Therapie für Patient:innen messen? Die erste Folge der zweiten Staffel von Charles² – Pharma Insights beleuchtet, wie Arzneimittelpreise entstehen, welche Vorteile das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) für Patient:innen bringt und an welchen Stellen das System an seine Grenzen gerät. Auf welcher Grundlage Preise für Arzneimittel in Deutschland verhandelt werden, erläutern Verhandlungsführerin Dr. Melanie von Wildenradt, Friedhelm Leverkus, der die u. a. für die AMNOG-Nutzendossiers zuständigen Abteilung leitet, und Geschäftsführer Martin Fensch, Head of Health & Value, eines Bereichs, der sich unter anderem mit dem Prozess der Nutzenbewertung neuer Arzneimittel befasst. Weitere Informationen gibt es unter www.pfizer.de/podcast-charles2.

Episode Transcription

Titel der Folge: Was Arzneimittel kosten dürfen

Anmoderation: Immer wieder sind Preise von Arzneimitteln oder Impfstoffen Gegenstand der öffentlichen Diskussion. In Deutschland soll sich der Preis eines Medikaments an dem Nutzen orientieren, den es bringt. Doch was macht solch einen Nutzen aus? Wie bemisst man einen Nutzen für Patientinnen und Patienten? Um solche Fragen geht es in dieser Folge von „Charles² – Pharma Insights“ – einem Podcast von Pfizer Deutschland. Ich bin dort Kommunikationsmanagerin, heiße Anke Kugelstadt und spreche für diesen Podcast mit Kolleginnen und Kollegen.

Moderation: Martin Fensch ist Geschäftsführer bei Pfizer in Deutschland und leitet einen Bereich namens Health & Value, der sich unter anderem um die sogenannte Nutzenbewertung neuer Arzneimittel kümmert. Er schildert, wie vielschichtig der Begriff Nutzen und damit auch eine Bewertung von Nutzen ist.

M. Fensch: Vielleicht treten wir ganz kurz einen Schritt zurück und denken einen Moment nach über das Wort „Nutzen“. Wenn man dazu in den Duden schaut zum Beispiel oder sich gängige Definitionen näher betrachtet, dann sieht man eben, dass man als Nutzen etwas bezeichnet, das dem subjektiv empfundenen Maß für den Grad der Bedürfnisbefriedigung entspricht. Das kann aber auch sozusagen als Eigenschaft eines Sachgutes oder einer Dienstleistung selbst angesehen werden.

Moderation: Die Definition von Nutzen als Begriff ist das eine, die Bedeutung macht Martin Fensch an Entscheidungen aus dem Alltag etwas greifbarer.

M. Fensch: Wenn ich zum Beispiel vor der Frage stehe: Wie komme ich morgen von Berlin nach Köln? Dann habe ich verschiedene Möglichkeiten: Ich kann mit dem Auto fahren, ich kann mit der Bahn fahren, ich kann mit dem Flugzeug fliegen. Ich kann mir vielleicht ein Motorrad ausleihen und, und, und. Es gibt also viele verschiedene Möglichkeiten. Und jetzt lege ich sozusagen Kriterien meiner Bedürfnisse an: Soll es sehr preiswert sein? Soll es schnell sein? Muss es zu einem bestimmten Zeitpunkt sein? Bevorzuge ich die ökologischste Form der Reise? Und es gibt ganz verschiedene Bedürfnisse, die ich hier an diese Fragestellung adressieren kann. Und wenn ich jetzt noch hingehe und diese verschiedenen Kategorien gegeneinander gewichte, wenn ich zum Beispiel sage, der Preis ist mir doppelt so wichtig wie die Frage der Geschwindigkeit, dann ergibt sich daraus sehr schnell eine Bewertungsmatrix, die ich zum Beispiel auch mit Punkten oder Werten hinterlegen kann. Und an deren Ende ich dann ein Ergebnis bekomme. Das sagt mir dann, nimm das Auto, nimm die Bahn oder fliege mit dem Flugzeug. Das sind also ganz alltägliche Nutzenbetrachtungen und Nutzenentscheidungen, die wir treffen.

Moderation: Vielleicht setzen wir im Alltag selten eine Bewertungsmatrix auf, aber wir wägen doch kontinuierlich Bedürfnisse ab, wenn wir Entscheidungen treffen.

M. Fensch: Wichtig zu verstehen ist, dass diese Bedürfnisse, um deren Befriedigung es geht, sehr individuell sein können. Und das Gleiche ist natürlich beim Thema Gesundheit der Fall. Also wenn jemand erkrankt und Hilfe sucht durch Medikamente, dann gibt es auch hier verschiedene individuelle Bedürfnisdimensionen, die man natürlich bemüht ist zu befriedigen. Das kann zum Beispiel sein, dass man sehr schnell gesund wird oder dass man möglichst wenig oder keine Nebenwirkungen in Kauf nehmen möchte, dass die Einnahme des Medikamentes besonders leicht ist, dass sich die Lebensqualität verbessert, die Lebenszeit sich verlängert und, und, und. Das sind also verschiedene Dimensionen, die hier beim Thema Gesundheit zu nennen sind und da gibt es natürlich auch noch mehr dieser Dimensionen. Und auch die kann man natürlich unterschiedlich gegeneinander gewichten, um dann den Nutzen eines Medikaments, einer medikamentösen Therapie in Bezug auf eine bestimmte Erkrankung und sicherlich auch im Vergleich zu den möglichen Alternativen bewertet. Also am Ende bekommt man sozusagen eine Nutzenbewertung, die aber eben stark davon abhängt, wie hat man gewichtet und welche Faktoren hat man berücksichtigt.

Moderation: Um näher zu erläutern, wie der Nutzen neuer Medikamente in Deutschland ermittelt wird, schildert Martin Fensch zunächst, dass sich unser Gesundheitssystem im wörtlichen Sinne selbst verwaltet.

M. Fensch: Deutschland hat ein sogenanntes System der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Worum es sich handelt wird deutlich, wenn man in andere Länder blickt, da sieht man nämlich durchaus, dass das Gesundheitswesen staatlich organisiert ist. Hier gibt der Staat den Rahmen vor für das Gesundheitswesen und innerhalb dieses Rahmens wird das Gesundheitswesen von der sogenannten Selbstverwaltung und seinen Organen und Institutionen verwaltet. Als eines der bedeutendsten Institutionen in der Selbstverwaltung ist letztlich der G-BA zu nennen, der Gemeinsame Bundesausschuss, in dem zum Beispiel die Leistungserbringer, die Kliniken, die niedergelassene Ärzteschaft, aber auch die Kostenträger beteiligt sind. Und die sind dort repräsentiert über sogenannte Bänke, wie man es nennt, und zusätzlich gibt es noch drei unabhängige Vertreter. Und dieses Gremium entscheidet über die Leistungen im Gesundheitswesen und auch über die Frage, welche dieser Leistungen denn erstattet werden.

Moderation: Die Gesundheitsversorgung ist in Deutschland also innerhalb des Systems geregelt durch bestimmte Einrichtungen. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der G-BA, ist eine wichtige Institution dieser Selbstverwaltung. Zu seinen Aufgaben gehört es, den Nutzen neuer Arzneimittel zu bewerten.

M. Fensch: Die Bewertung eines Arzneimittels wiederum erfolgt nach einer festgelegten Methodik. Wir sind ja schon kurz darauf eingegangen, dass eben die Frage nach den Kriterien und auch der Gewichtung der verschiedenen Kriterien in Hinblick auf den Nutzen, also die Befriedigung bestimmter Bedürfnisse, hier im Falle sozusagen einer Erkrankung, letztlich den Nutzen definieren. Und welche Kriterien erfasst werden und wie sie gewichtet werden, ist in den Methoden der Nutzenbewertung vom G-BA festgehalten und festgeschrieben. Nicht alle Kriterien, die man implizieren könnte, sind in diesen Methoden berücksichtigt, sondern eine Auswahl an Kriterien mit einer bestimmten Gewichtungslogik.

Moderation: Will ein pharmazeutischer Hersteller ein neues Medikament in Deutschland einführen, so ist mit der Markteinführung ein Dossier einzureichen.

M. Fensch: Und in diesem Dossier beantworten wir sozusagen die Fragen nach diesen Kriterien und legen die Daten dar, die dann erläutern, welchen Nutzen dieses neue Medikament hat und wie es im Vergleich sozusagen zu Alternativen dasteht.

Moderation: Beurteilt werden diese Dossiers in der Regel durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, kurz IQWiG. Nach verschiedenen weiteren Schritten kommt der G-BA nochmal zusammen.

M. Fensch: Und der G-BA beschließt dann ein Prädikat, ein Ticket, das man dann bekommt, das den Zusatznutzen dieses Medikaments dann ausweist als Hinweis auf einen Zusatznutzen, als keinen Zusatznutzen, auch das kann vorkommen. Und mit dieser Bewertung geht man dann in die Preisverhandlungen mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und dem GKV-SV und dort verhandelt man dann die Preise für Medikamente auf der Basis der vorherigen Nutzenbewertung.

Moderation: Hervorzuheben ist, dass diese Nutzenbewertung durch den G-BA ein neues Medikament mit bereits verfügbaren Therapien vergleicht. Denn dass das neue Medikament einen Nutzen hat, der eventuelle Risiken überwiegt, wurde zuvor schon durch den Zulassungsprozess gesichert.

M. Fensch: Medikamente, die in Deutschland auf den Markt kommen, also, die man dann vom Arzt verschrieben bekommt oder in der Apotheke kaufen kann, haben immer einen Nutzen. Und sie haben dargelegt, dass der Nutzen auch dem Risiko der Einnahme oder der Verabreichung überwiegt. Denn das ist die Grundlage, dass die Zulassungsbehörde dieses Medikament überhaupt zulässt. In Europa ist das in aller Regel die EMA, die Europäische Medicines Agency, die diese Prüfung übernimmt und eben anhand der Daten von klinischen Studien überprüft, ob der Nutzen dem Risiko überwiegt. Und nur wenn das der Fall ist, also nach wirklich tiefschürfender Prüfung, nur dann wird das Medikament zugelassen und nur dann kann es in Deutschland auch auf den Markt kommen.

Moderation: Wenn Sie wissen wollen, was in klinischen Studien geschieht oder auf welcher Basis Zulassungsbehörden entscheiden, erfahren Sie in den Folgen 3 und 4 der ersten Staffel unseres Podcasts mehr. Doch kommen wir in dieser Episode zurück auf die Nutzenbewertung. Kommen IQWiG und G-BA in der Methodik der Selbstverwaltung zu dem Ergebnis „kein Zusatznutzen“, so hat dies oftmals mit den Kriterien zu tun, die bei der Bewertung angelegt wurden.

M. Fensch: Es hat im Vergleich zu den bisherigen Therapieoptionen keinen zusätzlichen Nutzen, aber auch hier muss man natürlich ein großes Fragezeichen hinter machen. Weil, diese Bewertung ist oft das Ergebnis fehlender Daten oder die Kriterien der Nutzenbewertung, die hier in Deutschland angelegt worden sind, konnten nicht beantwortet werden. Weil zum Beispiel in den klinischen Studien, die wir dann als pharmazeutisches Unternehmen ja für die Erlangung der Zulassung für den Markt durchgeführt haben, da hatten wir möglicherweise zum Beispiel eine andere Vergleichstherapie als sie dann hier in Deutschland angelegt werden. Das heißt, man hat dann eben die Daten, die hier in Deutschland gefragt sind, nicht und hat dann natürlich wenig Aussichten in der Nutzenbewertung, entlang dieser strikten Kriterien einen Zusatznutzen darzulegen. Schaut man dann in andere Länder, in denen diese Kriterien nicht gelten, in denen andere Vergleichstherapien angelegt werden, hat man dort dann wiederum keine Probleme, darzulegen, dass dieses Medikament einen Zusatznutzen hat. 

Moderation: Vieles hängt also davon ab, welche Kriterien angelegt werden. Und die Kriterien unterscheiden sich wiederum zwischen Zulassung und Nutzenbewertung sowie auch von einem zum anderen Land. Friedhelm Leverkus leitet jene Abteilung, die bei Pfizer die Entwicklung der Dossiers und die Interaktion mit IQWiG und G-BA verantwortet. Hierzu gehören die Entwicklung der Evidenzstrategie, die Planung und Durchführung von Re-Analysen, um im Verfahren einen Zusatznutzen zu sichern, sowie die Stellungnahmeverfahren. Als eine wichtige Errungenschaft der deutschen Vorgehensweise sieht er, dass neue Medikamente nach der Zulassung direkt eingeführt werden können.

F. Leverkus: Wenn man sich umguckt, auch in anderen Ländern, dann ist Deutschland das Land, das den Patienten sehr schnell Zugang zu neuen Therapien ermöglicht. Das heißt, schon bei der Zulassung können Patienten das neue Medikament bekommen. Das ist sicherlich der größte Vorteil des deutschen Systems. Zum anderen ist es natürlich ein sehr transparentes Verfahren und ist auch sehr datengetrieben.

Moderation: Datengetrieben bedeutet, dass die Ergebnisse aus den klinischen Studien, die zur Zulassung geführt haben, auch den Kern der Nutzenbewertung ausmachen.

F. Leverkus: Darüber hinaus fließen natürlich auch nochmal andere Daten mit ein, um die Patientenzahlen zu schätzen, um zu wissen, wieviel Patienten werden in Deutschland eigentlich behandelt. Das sind dann Daten zur Häufigkeit der Erkrankung.

Moderation: Auch wenn zumindest ein Teil der Daten, die zur Zulassung geführt haben, auch in die Nutzenbewertung einfließt, heißt das nicht, dass sie durch den G-BA bzw. das IQWiG in selber Weise betrachtet werden.

F. Leverkus: Die Methodik ist anders als die Zulassungsbehörden. Das heißt, nach anderen Dingen wird geschaut. Es ist also keine Wiederholung der Zulassung, sondern man guckt, gibt's hier einen Zusatznutzen gegenüber den Medikamenten, die es in dieser Indikation schon in Deutschland gibt. Wir stellen auch häufig Abweichungen zwischen den Entscheidungen der Zulassungsbehörden und den Entscheidungen des IQWiG oder G-BA fest bei Dingen, die eigentlich das Gleiche beurteilen. Das dürfte unseres Erachtens nach nicht sein, kommt aber auch vor.

Moderation: Wie das Prozedere der Nutzenbewertung abläuft, regelt das AMNOG, also das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz. Das Gesetz mit dem langen Namen trat im Januar 2011, also vor mehr als zehn Jahren, in Kraft. Seit damals hat sich die Kommunikation zwischen pharmazeutischen Herstellern, G-BA und IQWiG verbessert.

F. Leverkus: Wir sehen auf der anderen Seite aber auch, dass wir jetzt Medikamente mit ganz neuen Prinzipien in der Pipeline haben, die sicherlich revolutionär sind. Denken Sie an Gentechnologie, denken wir an personalisierte Medizin. Und da stellt sich die Frage, ob die Methodik, die jetzt angewandt wird, für diese Medikamente noch die richtige ist. Oder ob man da auch gemeinsam drüber nachdenken muss, wie wir das weiterentwickeln und hier zu einer vernünftigen Nutzenbewertung kommen.

Moderation: Wie man sich die einzelnen Schritte im AMNOG-Verfahren im Detail vorstellen kann, schildert Friedhelm Leverkus im Folgenden.

F. Leverkus: Wir reichen ein Dossier ein. Das Dossier basiert auf unseren klinischen Prüfungen, die zur Zulassung geführt haben. Es erfolgen umfangreiche Re-Analysen. IQWiG und G-BA haben im Prinzip – oder auch das AMNOG selber – schreibt vor, was man dort hat sehen will, welche Subgruppenanalysen, welche anderen Analysen man sehen will. Das IQWiG beurteilt das Dossier daraufhin. Sagt, welche Studie es anerkennt, welche Analysen anerkannt werden. Zieht daraus ihre Schlüsse. Versucht nach so einer Art Schulnotensystem, den Zusatznutzen zu klassifizieren. Denn es findet eine Anhörung statt zu diesem IQWiG Bericht. Und an dieser Anhörung und dieser Anhörung können auch Stellungnahmen geschrieben werden. Stellungnahmeberechtigt sind die medizinischen Fachgesellschaften. Die sind auch in der GBA Verfahrensordnung gelistet, wer da was sagen darf und wer nicht sagen darf, eine Stellungnahme abgeben darf und wer nicht. Und der pharmazeutische Unternehmer kann natürlich auch noch eine Stellungnahme abgeben. Daraufhin wird der G-BA eine Entscheidung machen, Entscheidung des Zusatznutzen mit den tragenden Gründen, die Grundlage auch der Preisverhandlungen sind.

Moderation: Die Entscheidung des G-BA bezeichnet man auch als den G-BA-Beschluss. Für diesen Beschluss kommt ein Ausschuss zusammen, der immer die gleiche Zusammensetzung hat.

F. Leverkus: Der beschlussfassende Ausschuss besteht aus 13 Stimmberechtigten. Mit fünf Stimmen vertreten sind dort die Kostenträger, konkret aus dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, die für die Gesundheitsleistungen der Versicherten bezahlen, die denn auch hinterher die Preisverhandlungen machen. Nicht die gleichen Leute, aber die gleiche Organisation. Ebenso viele Stimmen, die also nochmals fünf, haben die Leistungserbringer, dazu zählen Mitglieder der Deutschen Krankenhausgesellschaft und auch der Kassenärztlichen und Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Sie stehen für die allgemeine Ärzteschaft. Und hinzu kommen drei unparteiische Mitglieder, von denen einer Vorsitzender des Ausschusses ist. Patientenvertreter werden auch gehört. Sind da auch mit drin. Aber die haben kein Stimmrecht im GBA.

Moderation: Nachdem der G-BA seinen Beschluss zu einem neuen Medikament gefasst hat, beginnt auf dieser Basis die zweite Phase des AMNOG-Verfahrens. In dieser verhandeln die pharmazeutischen Hersteller mit dem GKV-Spitzenverband. Was das für ein Verband ist, erklärt Dr. Melanie von Wildenradt. Sie und das Team, das sie leitet, kümmern sich bei Pfizer um den Marktzugang verschreibungspflichtiger Medikamente in Deutschland.

Melanie von Wildenradt: Es gibt ja über hundert verschiedene Krankenkassen in Deutschland. Das wäre für uns kaum möglich, mit so vielen Kassen einzeln zu verhandeln. Und daher gibt es seit einigen Jahren auch den Dachverband, das ist der GKV, der Spitzenverband, der alle Krankenkassen in Deutschland vertritt als übergeordnetes Organ.

Moderation: Verhandelt wird der Betrag, den eine Krankenkasse an den Hersteller zahlt, wenn einem Mitglied dieser Kasse ein Arzneimittel verordnet wird. Die Preisverhandlungen finden über einen Zeitraum von einem halben Jahr hinweg statt.

Melanie von Wildenradt: Während dieser Zeit gibt es vier Verhandlungsrunden, manchmal bei Bedarf optional auch eine fünfte, wenn beide Seiten sich darauf verständigen. Die beiden Parteien, also der Hersteller und der GKV-Spitzenverband, treffen sich dann mit ihren jeweiligen Verhandlungsteams. Von Seiten der Hersteller wird als Verhandlungsteam häufig ein cross-funktionales Team gestellt. Dabei sind wir als Market Access dabei und wir werden dann auch begleitet von Kollegen, die bei der Erstellung des Dossiers beteiligt waren. Von einem Mediziner und auch von jemand aus der Rechtsabteilung.

Moderation: Gelingt es in den Verhandlungsrunden nicht, sich auf einen Preis zu einigen und einen Vertrag zu schließen, so kommt eine weitere Instanz ins Spiel.

Melanie von Wildenradt: Es wurden dann ja bereits sechs Monate verhandelt und wenn dort keine Einigung erzielt werden konnte, muss eine Schiedsstelle angerufen werden. Dieser Prozess mit den Gesprächen der Schiedsstelle dauert dann noch einmal drei Monate und die Schiedsstelle hört sich die Argumente beider Parteien an, prüft diese und entscheidet, das ist ganz wichtig, am Ende auch über den Preis.

Moderation: In der Regel streben jedoch sowohl die Hersteller als auch der Verband der Krankenkassen an, sich auf reguläre Weise zu einigen. Dazu wird in den vier bis fünf Verhandlungsrunden über Vieles gesprochen.

Melanie von Wildenradt: Wir sprechen da zunächst einmal über das Indikationsgebiet und auch über die Erkrankung, in der das Medikament zugelassen wurde. Und wichtig auch, was diese Erkrankung für die Patientinnen und Patienten bedeutet. Außerdem werden dann Mengen verhandelt, die beruhen auf Schätzungen, wie häufig dieses neue Medikament in der nächsten Zeit dann angewendet wird. Ein weiterer Punkt könnte noch sein, dass man sich über Preise aus anderen europäischen Ländern austauscht. Und natürlich spricht man und verhandelt man auch über den tatsächlichen neuen Preis des Medikamentes. Am Ende der Verhandlungen, wenn man eine Einigung erzielt hat, werden diese Ergebnispunkte auch in einem Vertrag festgehalten und dieser Vertrag wird geschlossen zwischen dem GKV und dem Hersteller der Arzneimittel.

Moderation: Grundlage der Preisverhandlungen ist der G-BA-Beschluss. 

Melanie von Wildenradt: Der G-BA-Beschluss spielt eine ganz wichtige Rolle bei den Preisverhandlungen. Der G-BA legt ja das Ausmaß des Zusatznutzens fest und beurteilt damit das neue Medikament und dies wiederum stellt dann die Startposition für die Verhandlungen dar.

Moderation: Der G-BA legt auch fest, gegenüber welchen Therapien sich ein neues Medikament vergleichen muss.

Melanie von Wildenradt: Ist in einem Verfahren eine Vergleichstherapie vom G-BA festgelegt, spielt diese für den Preis als Vergleich eine wichtige Rolle und hat auch einen zentralen Einfluss auf den Preis. Zusätzlich nicht vom G-BA festgelegt gibt es aber auch Therapien im Indikationsgebiet, die als sogenannte vergleichbare Arzneimittel herangezogen werden können. Außerdem, ebenfalls nicht vom G-BA festgelegt, gibt es die europäischen Preise, die dort als Vergleich ebenfalls in die Diskussion mit einfließen.

Moderation: Wie hoch die Forschungs- und Entwicklungskosten für das betreffende Medikament waren, wird in den Preisverhandlungen übrigens nicht diskutiert. Und dies aus guten Gründen.

Melanie von Wildenradt: In der Medikamentenentwicklung ist das so, dass an Tausenden von Wirkstoffen geforscht wird und am Ende schafft es dann ein Wirkstoffkandidat, der tatsächlich auch als neues Medikament auf den Markt gebracht werden kann. Es gibt ja so viele Erkrankungen noch, in denen es aktuell keine zufriedenstellende Behandlung gibt. Darum ist das aus unserer Sicht auch wichtig, dass Innovationen in der Zukunft weiterentwickelt werden können und den Patientinnen und Patienten zur Verfügung gestellt werden können.

Moderation: Der Preis eines Arzneimittels soll also in erster Linie nicht dessen Entwicklung refinanzieren, sondern die Forschung und Entwicklung neuer Therapien ermöglichen. Dass über Arzneimittelpreise mit den Kostenträgern verhandelt wird, findet Melanie von Wildenradt ein gutes Prinzip.

Melanie von Wildenradt: Durch die Verhandlung können beide Seiten ihre Aspekte, die sie auf das neue Medikament, auf das Indikationsgebiet und die Erkrankung haben, auch austauschen und sich im Interessenausgleich dann auch einigen.

Moderation: Die privaten Krankenversicherungen schließen sich dem Verhandlungsergebnis übrigens an.

Melanie von Wildenradt: Die private Krankenversicherung, die sitzt mit am Verhandlungstisch und der Vertrag, den beide Seiten dann miteinander abschließen, der wird auch gegenüber der privaten Krankenversicherung angewendet. Auch wenn sie nicht direkter Verhandlungspartner in dem Sinne ist.

Moderation: Sowohl die Nutzenbewertung als auch die Preisverhandlungen finden im ersten Jahr nach der Einführung eines neuen Medikaments statt.

Melanie von Wildenradt: Und der verhandelte Preis gilt dann ab dem zweiten Jahr nach der Markteinführung des neuen Medikamentes. Durch dieses Verfahren sichert das dem Patienten einen schnellen Zugang zu dem neuen Medikament, der Solidargemeinschaft ist ein angemessener Preis zugesichert und auch als Hersteller hat man eine gewisse Planungssicherheit. Das wiederum ist ein wichtiger Anreiz, damit Medikamente nach der Zulassung in Deutschland auch rasch eingeführt werden können.

Moderation: Der Zugang zu neuen Medikamenten ist Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern der EU und weltweit also besonders schnell. Zugleich mehren sich Stimmen, dass das deutsche AMNOG-Verfahren immer mehr an seine Grenzen gerät. Auf die Gründe geht Pfizer-Geschäftsführer Martin Fensch ein.

M. Fensch: Wir haben glücklicherweise eine hohe Dynamik in der Forschung und im medizinischen Fortschritt bei der Entwicklung von neuen Medikamenten. Wir haben es gerade in der Corona-Pandemie gesehen, dass wir mittels von mRNA-Plattformen in der Lage waren, in Rekordzeit einen Impfstoff herzustellen, der es ermöglicht, diese Pandemie auch zu überwinden. Das zeigt sehr eindrücklich, dass es eben immer wieder möglich ist, auch neue Kapitel in der medizinischen Forschung aufzuschlagen. Und diese neuen Therapien und die neuen Impfstoffe, dass die sind nicht unbedingt vergleichbar mit den Therapien, Medikamenten und Impfstoffen von gestern. Also sie werden spezifischer, sie werden personalisierter, wir bekommen Gentherapien, Einmalbehandlungen, die es ermöglichen, Erkrankungen für viele Jahre zu überwinden. Und die neuen Therapien oder viele dieser neuen Therapien stellen eben auch besondere Ansprüche an eine Nutzenbewertung. Und hier denke ich, muss sich das System der Nutzenbewertung und der Preisfindung auch weiterentwickeln.

Moderation: Es geht ihm also um eine Weiterentwicklung der Nutzenbewertung, damit Patientinnen und Patienten auch in der Zukunft an dem medizinischen Fortschritt schnell teilhaben können. Doch wie kann das konkret aussehen?

M. Fensch: Ich bin überzeugt, dass wir auf allen Seiten mehr Flexibilität brauchen. Wir müssen die Methoden, die Prozesse weiterentwickeln, so, dass sie zu der Dynamik des Fortschritts passen. Und das muss auf allen Seiten der Fall sein. Also nicht nur unsere Partner im Gesundheitswesen müssen sich weiterentwickeln, auch wir natürlich als Hersteller. Wir lernen dazu, wir passen uns an und müssen eben gemeinsam sicherstellen, dass bessere Medikamente und neue Therapieoptionen schnell, sicher und zuverlässig zu den Patienten gelangen, die sie brauchen. Es geht letztlich darum, den Spielraum breiter zu nutzen und gemeinsam den neuen Herausforderungen, die eben durch den medizinischen Fortschritt auch kommen, diesen zu begegnen. Die Behandlungen der Zukunft werden immer individueller, einige der neuen Medikamente und sehr zielgerichtete Therapien sind hoch wirksam, kommen aber nur für sehr wenige Patienten in Betracht. Je kleiner die Gruppen werden, desto weniger passen die Schablonen von vor zehn Jahren zur Beurteilung des Nutzens, den solche Medikamente bedeuten können. Es ist, und da bin ich fest von überzeugt, an der Zeit, solche Fragen gemeinsam zu diskutieren und wir sind absolut offen dafür, den Rahmen, über den wir hier sprechen, für die Nutzenbewertung, für die Preisfindung, in Gesprächen, neu zu definieren und weiter zu entwickeln.

Moderation: Die Dynamik, mit der sich die Medizin in den letzten Jahren weiterentwickelt hat, haben wir der Forschung zu verdanken. Neben Daten aus den Forschungslaboratorien und aus den klinischen Studien stehen dabei mehr und mehr Behandlungsdaten aus der Versorgung zur Verfügung. Warum und wie Erkenntnisse über die Behandlung in den Praxen und Kliniken helfen können, die Medizin zu verbessern, wird das Thema unserer nächsten Folge sein. Erfahren Sie mehr über Pfizer und diesen Podcast auf unserer Website www.pfizer.de. Wenn Ihnen „Charles² – Pharma Insights“ gefällt, empfehlen Sie uns gerne weiter. Natürlich freuen wir uns auch wenn Sie uns Abonnieren und über Bewertungen in der Apple-Podcasts-App. Wenn Sie mögen, bis zum nächsten Mal.