Charles² – Pharma Insights

Auf welcher Basis Zulassungsbehörden entscheiden

Episode Summary

Damit neue Medikamente oder neue Impfstoffe in Deutschland verordnet werden können, ist eine Zulassung nötig. In der Regel reichen pharmazeutische Unternehmen dazu ein Antrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein. Wie man sich das vorstellen kann und welche verschiedenen Zulassungsverfahren es gibt, berichten in Folge 4 von „Charles² – Pharma Insights“ Dr. Anneke Hackling und Dr. Georg Lang. Sie und ihre Teams bei Pfizer stehen in ihrem Arbeitsalltag mit der EMA, aber auch den deutschen Bundesoberbehörden wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) regelmäßig in Kontakt.

Episode Notes

Damit neue Medikamente oder neue Impfstoffe in Deutschland verordnet werden können, ist eine Zulassung nötig. In der Regel reichen pharmazeutische Unternehmen dazu ein Antrag bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) ein. Wie man sich das vorstellen kann und welche verschiedenen Zulassungsverfahren es gibt, berichten in Folge 4 von „Charles² – Pharma Insights“ Dr. Anneke Hackling und Dr. Georg Lang. Sie und ihre Teams bei Pfizer stehen in ihrem Arbeitsalltag mit der EMA, aber auch den deutschen Bundesoberbehörden wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) sowie dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) regelmäßig in Kontakt. Weitere Informationen gibt es unter www.pfizer.de/podcast-charles2.

Episode Transcription

Titel der Folge: Auf welcher Basis Zulassungsbehörden entscheiden

Anmoderation: Bevor ein Medikament in Deutschland verordnet werden kann, braucht es die Genehmigung einer Behörde. Meist wird der Antrag auf Zulassung dafür bei der Europäischen Arzneimittelagentur, der EMA, eingereicht. Im Auftrag dieser Behörde prüft ein wissenschaftlicher Ausschuss die oft mehr als eine halbe Millionen Seiten umfassenden Unterlagen. Welche Herausforderungen und welche Sicherheit bringt dieses aufwändige Prozedere? Und was hat es mit dem rollierenden Prüfverfahren auf sich? Dieses Verfahren kam bei der EMA 2020 erstmals zum Tragen. Und es ermöglichte in der Pandemie eine sehr schnelle Zulassung von Impfstoffen. Auf welcher Basis Zulassungsbehörden entscheiden, erfahren Sie in dieser Folge von „Charles² – Pharma Insights“ – einem Podcast von Pfizer Deutschland. Ich bin dort Kommunikationsmanagerin, heiße Anke Kugelstadt und spreche für diesen Podcast mit Kolleginnen und Kollegen.

Moderation: Dr. Georg Lang hat Pharmazie studiert und arbeitet seit 2009 bei Pfizer. Sein Arbeitsort ist die Pfizer-Deutschlandzentrale in Berlin am Potsdamer Platz. Von dort aus leitet er die regulatorischen Angelegenheiten für Deutschland und fünf weitere Länder in Zentraleuropa. Er erläutert, dass die moderne Arzneimittelregulierung noch gar nicht so alt ist, wie man vielleicht denken könnte, und warum es sie in ihrer heutigen Form gibt.

G. Lang: Wir haben 2015 50 Jahre europäische Arzneimittelregeln gefeiert. Und wenn man sich fragt, wie hat das eigentlich alles angefangen, dann ist das wie oft im Leben, dass manchmal schwierige Ereignisse – in diesem Fall war es die Tragödie, die wir mit einem Arzneimittel in Europa hatten, das in Deutschland entwickelt worden ist, das viele kennen, das ist das Contergan. Unter der Anwendung von diesem Arzneimittel hat es in den frühen 60er-Jahren schwere Nebenwirkungen gegeben. Und aus diesem Verfahren und aus dieser Erfahrung hat man dann gelernt, dass der Zustand oder die Art und Weise, wie man bis dahin in Deutschland und Europa Arzneimittel entwickelt hat, dass die Rahmenbedingungen dafür nicht die richtigen waren. Und das war dann quasi der Ausgangspunkt dafür, dass wir in Europa uns auf den Weg gemacht haben, einheitliche Regeln und eine Zulassungspflicht zu etablieren.

Moderation: 1976 ist dann das erste Arzneimittelgesetz in Kraft getreten. Der gesetzliche Rahmen umfasst, wie ein Arzneimittel zu entwickeln ist, bestimmt aber auch Organisationsstrukturen. Georg Lang schildert, wie die Europäische Arzneimittelagentur – kurz EMA – ins Leben gerufen wurde und welche Überlegungen damals zugrunde lagen.

G. Lang: Wir brauchen ein gemeinsames europäisches Verfahren und ein gemeinsames Regelwerk, wir brauchen aber auch natürlich eine Infrastruktur dafür. Und deswegen hat man die EMA gegründet. Und die wichtige Aufgabe der EMA ist, dass alle zentralen Zulassungsverfahren in Europa koordiniert werden. Das ist quasi der zentrale Anlaufpunkt für die wissenschaftliche Bewertung, wo sich die wissenschaftlichen Gremien in Europa treffen.

Moderation: Auch Dr. Anneke Hackling ist Pharmazeutin und seit mehr als zehn Jahren bei Pfizer beschäftigt. Bei ihr und ihrem Team laufen alle Informationen zusammen, die man für einen Zulassungsantrag bei der EMA braucht. Die Daten werden in einem pharmazeutischen Dossier zusammengeführt, das aus drei Kernabschnitten besteht.

A. Hackling: Das sind einmal die Unterlagen zu den Ergebnissen aus pharmakologisch-toxikologischen Studien, dann einmal die Unterlagen zu den Ergebnissen aus klinischen Prüfungen und dann das sogenannte analytische Dossier, das sind Unterlagen zur pharmazeutischen Qualität: wie wird die Tablette hergestellt, wie wird der Wirkstoff hergestellt, welches sind die Herstellstätten, welche Spezifikationen müssen erfüllt werden, wenn wir die Tablette oder die Injektionslösung freigeben müssen. Da steht ziemlich genau beschrieben: Es muss eine klare Lösung sein, partikelfrei, pH 7,2 und natürlich auch bestimmte Verunreinigungen dürfen nicht drin sein – das ist so die Spezifikation.

Moderation: Ergänzend zu all diesen Daten will die Behörde wissen, dass ein pharmazeutischer Hersteller auch hinsichtlich der Sicherheit verlässlich aufgestellt ist.

A. Hackling: Ein weiterer Bereich ist, dass wir natürlich der Behörde klarmachen müssen, dass wir eine funktionierende Arzneimittelsicherheit haben. Also das heißt, wir müssen Angaben zur Arzneimittelsicherheit machen. Wir müssen belegen, dass wir ein Pharmakovigilanzsystem und ein Risikomanagementsystem haben. Das heißt, wir sind in der Lage, Meldungen zu Arzneimittelnebenwirkungen aufzunehmen, zu verarbeiten, in unseren Systemen abzubilden und haben auch Prozesse etabliert, falls es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen könnte, dass wir festgeschrieben haben, wer für was zuständig ist, wie die Behörden informiert werden.

Moderation: Und dann gibt es noch Dokumente, die sogenannten Texte, in denen die Inhalte des Dossiers auf den Punkt gebracht werden. Sie dienen dazu, Ärzte- und Apothekerschaft wie auch Patientinnen und Patienten umfassend über das Arzneimittel und den richtigen Einsatz zu informieren.

A. Hackling: Für den späteren Anwender des Arzneimittels ist eigentlich am sichtbarsten diese sogenannte Produktinformation, das sind also die Texte, die dann nachher auch zur Anwendung kommen. Also es gibt da einmal den Text der Fachinformation, wie das Wort schon sagt, ist das ein Text, der mehr für das Fachpublikum ausgerichtet ist. Dann gibt es die Packungsbeilage, die kennt jeder; auch der Text der Faltschachtel und des Behältnisses, also z.B. der Text, der auf der Blister-Folie steht, oder der Text, der auf dem Etikett einer Ampulle steht, das alles wird mit eingereicht und wird auch von der Behörde geprüft. Und dann wird eine finale Version freigegeben. D.h. wir können immer nur genau das drucken, was die Behörde uns genehmigt hat.

Moderation: Zum umfangreichen Zulassungsdossier tragen vielen Kolleginnen und Kollegen bei.

A. Hackling: Es sind sehr, sehr viele Unterlagen, die eingereicht werden. Gerade diese ganzen Studienergebnisse, das ist wirklich ein sehr, sehr umfassendes Dossier und das ist ja auch gut so, wir wollen ja auch alles mit wissenschaftlichen Daten untermauern. Es sind auch verschiedenste Fachbereiche bei uns beteiligt, daran, dieses Dossier zu erstellen.

Moderation: Die Zulassungsabteilung trägt alle Informationen zusammen, koordiniert und finalisiert den Antrag für die Einreichung bei der zuständigen Behörde. Wenn es um einen Zulassungsantrag für den europäischen Wirtschaftsraum geht, wenden sich Anneke Hackling und ihr Team mit dem Dossier an die EMA.

A. Hackling: Wenn wir dann soweit sind, diesen fertigen Zulassungsantrag zu stellen, dann ist bei der EMA für die Bewertung des Antrags in erster Linie der Ausschuss für Humanarzneimittel, der CHMP, zuständig. Und aus den Reihen dieses Ausschusses, des CHMP, wird jeweils ein Rapporteur und ein Co-Rapporteur für dieses Verfahren benannt – das sind Vertreter aus den jeweiligen EU-Ländern. Und die Aspekte der Arzneimittelsicherheit werden durch einen anderen Ausschuss bewertet, das ist der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz, der sogenannte PRAC. Und diese beiden Ausschüsse, die führen dann eine Nutzen-Risiko-Bewertung auf Basis der eingereichten Daten durch.

Moderation: Auch wer wann Fragen stellt bzw. beantwortet ist buchstäblich auf den Tag geregelt.

A. Hackling: In einem Standardzulassungsverfahren hat der Antragsteller gemäß einem Ablauf mit wirklich sehr genau festgelegten Zeitlinien zwei Mal die Möglichkeiten, auf Fragen und Forderungen der Behörde zu antworten. Das eine ist der Tag 120 im Rahmen des Verfahrens – also Sie merken schon, die Tage sind wirklich getaktet – und einmal an Tag 180, da gibt es immer eine sogenannte „list of questions“ oder „list of outstanding issues“, die wir dann bekommen und auf die wir dann auch antworten können. Und spätestens am Tag 210 des Verfahrens wird dann der CHMP eine Empfehlung, eine sogenannte „opinion“, abgeben. Und das ist ja noch nicht das Ende des Verfahrens. D.h. auf Basis einer positiven Empfehlung erfolgt dann letztendlich die Genehmigung der Zulassung durch die Europäische Kommission. Also den Stempel macht die Europäische Kommission drauf, die wissenschaftliche Bewertung läuft durch die Behörde.

Moderation: Der wissenschaftliche Ausschuss gibt also immer eine Empfehlung ab. Dabei kann er sich für oder gegen eine Zulassung aussprechen.

A. Hackling: In beiden Fällen werden die Gründe für diese Entscheidung in einem öffentlichen Bewertungsbericht im Netz verfügbar gemacht. Also das heißt, das ganze Verfahren ist sehr transparent und vor allem auch, man kann als normaler Bürger jederzeit nachlesen: was sind die Gründe für oder gegen die Zulassung eines Arzneimittels auf europäischer Ebene – und auch sogar auf Deutsch.

Moderation: Warum eine Arzneimittelzulassung auf europäischer Ebene viele Vorteile bringt, fasst die Pharmazeutin so zusammen.

A. Hackling: Das regulatorische Netzwerk aus nationalen Behörden, der EMA und der Europäischen Kommission ermöglicht wirklich eine effizientere Bewertung von Zulassungsanträgen und ein höchstmögliches wissenschaftliches Niveau. Effizient deshalb, weil man dann nur einen EU-weiten Behördenantrag stellen muss und eine finale Bewertung hat anstelle von 27 einzelnen Anträgen und Verfahren. Der Vorteil ist also auf beiden Seiten – sowohl für die Behörden als auch für die Antragsteller. So können wir nationale Kapazitätsengpässe vermeiden. wir können immer schauen welche Behörde hat gerade Zeit oder die größten Kapazitäten. Und dort wird dann auch die Arbeit erledigt. Und was auch ganz wichtig ist von der wissenschaftlichen Seite her: Die EMA kann länderübergreifend immer auf die jeweils besten Experten für ein bestimmtes Fachgebiet zugreifen– das heißt also, wenn wir z.B. ein onkologisches, ein Krebsmedikament haben, dann gibt es durchaus besondere Expertise in bestimmten Ländern und dann wird eben aus diesem Land die Experten für die EMA rekrutiert. So können wir sicherstellen, dass wir wirklich immer die besten Experten und ein effizientes Verfahren haben. Natürlich gibt es auch Nachteile. Die EU ist sehr reguliert, das muss sie auch sein bei 27 Nationalstaaten. Wir haben sehr detaillierte Prozesse mit genauen Zeitlinien, denen wir auch folgen müssen. Allerdings zeigt sich die EMA immer mehr flexibel und ermöglicht auch beschleunigte Verfahren. Trotzdem ist dann manchmal die US-amerikanische FDA schneller. Aber nicht viel.

Moderation: Auf die Frage, wie lange das Prozedere bei der EMA in der Regel dauert, bezieht sich Anneke Hackling erst mal auf das Standardverfahren.

A. Hackling: Je besser wir den Antrag vorbereiten, je mehr wir uns mit der Behörde vorab abstimmen und natürlich auch je besser die Qualität des eingereichten Dossiers ist, je besser die Datenqualität ist, desto weniger Nachfragen kommen von der Behörde und desto schneller kann das ganze Verfahren abgeschlossen werden. So als Richtwert 1,5 Jahre, aber es gibt auch Möglichkeiten, schnellere Verfahren durchzuführen oder, wenn es viele Rückfragen durch die Behörden gibt, dann kann das Ganze auch etwas länger dauern. 

Moderation: Um Arzneimittel oder Impfstoffe schneller verfügbar zu machen, gibt es auf EU-Ebene verschiedene Möglichkeiten. Durch eine sogenannte bedingte Zulassung oder ein beschleunigtes Verfahren können z. B. Krebsmedikamente schneller zugelassen werden. Aber auch bei einer Bedrohung der öffentlichen Gesundheit kann der Prozess angepasst werden. Wie schnell eine Prüfung und Zulassung bei der EMA gehen kann, wenn auf allen Seiten alle Kräfte mobilisiert werden, hat sich während der COVID-Pandemie gezeigt. Im Oktober 2020 prüfte die EMA erstmals in einem rollierenden Verfahren. 

A. Hackling: Der Rolling Review ist ein auch wirklich ganz neuer Ansatz. Da fängt die Behörde mit der Bewertung der Daten schon vor dem eigentlichen Zulassungsantrag an, das ist ein wichtiger Aspekt. Das heißt, wir haben einen Start des Rolling Reviews und der tatsächliche Zulassungsantrag wird erst später eingereicht. Und was auch ganz wichtig ist, dass bei diesem Rolling Review vom Antragsteller die Daten kontinuierlich eingereicht werden, sobald sie verfügbar sind. Das heißt also, es findet eine fortlaufende Überprüfung nacheinander eingereichter Daten statt, während die Entwicklung des Arzneimittels noch andauert und meistens die klinischen Prüfungen noch fortgeführt werden. Und das geht natürlich insgesamt schneller, als wenn man abwarten muss, bis alle Ergebnisse vorliegen und dann alles in einem fertigen Zulassungsantrag zusammenfasst. Man geht allerdings überhaupt keine Kompromisse ein in Bezug auf die Bewertung, also die gleichen hohen Qualitätsstandards werden auch hier bei der Bewertung angewendet. Aber man macht vieles parallel, was man sonst hintereinander gemacht hätte.

Moderation: Obwohl die Qualität bei einem rollierenden Prüfverfahren also die Güte des Standardverfahrens hat, sieht die Pharmazeutin das Rolling Review nicht als den Standard der näheren Zukunft.

A. Hackling: Man muss sich darüber im Klaren sein, so ein rollierendes paralleles Verfahren bindet immens viele Kapazitäten – sowohl bei der Behörde als auch beim Antragsteller. Und deshalb sollte es auch wirklich nur besonderen Notlagen vorbehalten sein. Das ist ein wirklicher Kraftakt, den man da durchführt. Und wir haben ja schließlich auch noch andere Möglichkeiten, beschleunigte Verfahren oder beschleunigte Bewertungen durchzuführen. Und ich glaube, das Rolling Review ist für eine bestimmte Situation die beste Lösung, aber nicht für alle.

Moderation: Bei der Prüfung der COVID-Impfstoffe gab es eine weitere Neuerung. Erstmals fanden öffentliche Termine statt, bei denen Interessensvertreter und auch einzelne Bürger mit der EMA interagieren, Fragen stellen und Bedenken äußern konnten. Während das bei der US-amerikanischen Behörde FDA schon lange üblich ist, wurde die Öffentlichkeit von der EMA zuvor nicht in dieser Form einbezogen. Anneke Hackling wünscht sich mehr Einbindung medizinischer Laien auch für die Zukunft.

A. Hackling: Ich glaube, es ist auch für die Behörde wichtig, nicht nur auf Expertenebene zu kommunizieren, sondern auch wirklich die Rückmeldung von den Patienten, von den normalen Bürgern zu bekommen – einfach auch, um mehr Transparenz zu schaffen. Im Grunde genommen besteht diese Transparenz – sie wird vielleicht aber auch nicht immer so wahrgenommen. Und es ist eben auch wie man in der Pandemie jetzt sieht, ganz ganz wichtig, dass alle Bürger verstehen, wo die Entscheidungen herkommen. Und vielleicht ist dann so ein Meeting wirklich viel viel hilfreicher als ein wissenschaftlicher Beurteilungsbericht, auch wenn er auf Deutsch ist. Unddurch die Pandemie und durch die rapide Entwicklung und Zulassung der Impfstoffe hat die Arbeit in der Arzneimittelzulassung deutlich an Sichtbarkeit und vor allem auch an Anerkennung gewonnen. Also das öffentliche und auch das private Interesse ist enorm gestiegen. Plötzlich weiß jeder Bescheid, wie elementar wichtig die Zulassung für die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ist. Und das betrifft wirklich jeden.

Moderation: Die USA und Großbritannien wählten in der COVID-Pandemie für einige neue Impfstoffe und Medikamente eine Notfallzulassung. Das geht schnell, hat aber einige Limitationen.

A. Hackling: Eine Notfallzulassung ist eigentliche keine richtige Zulassung eines Arzneimittels. So eine sogenannte Notfallzulassung erlaubt nur die vorübergehende Verwendung eines nicht zugelassenen Arzneimittels in einer Notsituation. Das Arzneimittel bleibt damit nicht zugelassen und darf damit auch formal nicht in den Verkehr gebracht werden. Sie hören schon so ein bisschen heraus, dass es viele rechtliche Implikationen hat, insbesondere aber auch haftungsrechtliche Konsequenzen. Also wenn wir eine reguläre Zulassung haben – und sei es auch nur eine bedingte EU-Zulassung – haftet der Zulassungsinhaber. Wenn wir eine Notfallzulassung haben, die zur vorübergehenden Genehmigung des Vertriebs als nicht zugelassenes Produkt vorschreibt, dass ein Mitgliedstaat der EU diese Verwendung empfohlen oder vorgeschrieben hat, dann ist die Verantwortlichkeit eben nicht mehr beim Zulassungsinhaber und auch nicht mehr bei dem Hersteller.

Moderation: Eine Notfallzulassung sollte aus ihrer Sicht wirklich nur die Ausnahme sein.

A. Hackling: Diese Notfallzulassungen werden auch nur auf nationaler Basis erteilt. Sodass ein Land dann, wenn es in einer ganz spezifischen Notlage ist, sagen kann: Okay, ich brauche jetzt ganz, ganz dringend ein bestimmtes Arzneimittel, das vielleicht nicht bei mir zugelassen ist, für die nächsten sechs Monate oder zwölf Monate. Aber es ist keine reguläre Zulassung und bleibt auch immer die Frage offen: Wie gut werden die Daten zu diesem Arzneimittel dann auch tatsächlich geprüft. Also das läuft nicht nach den Standardverfahren, da ist dann plötzlich jedes Land selber verantwortlich und da verlasse ich mich lieber auf die EU-Zulassung.

Moderation: Eine Zulassung auf Länderebene ist im Prinzip auch in EU-Ländern möglich, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen und heutzutage eine absolute Seltenheit. Georg Lang ist vom zentralen Verfahren auf EU-Ebene überzeugt. Als Gründe führt er an:

G. Lang: Dass man nach einem einzelnen Zulassungsverfahren in allen Mitgliedsstaaten des europäischen Wirtschaftsraum eine Zulassung bekommt. Ein Verfahren – eine Zulassung, in einem sehr bewährten Verfahren, nach hohen wissenschaftlichen Standards, in einer vergleichsweise schnellen Zeit. Und was natürlich ein anderer, wirklich sehr wichtiger Vorteil ist, dass die gesamte wissenschaftliche Expertise, die in der EU zur Verfügung steht, in den Gremien der EMA gebündelt ist, vor allem im CHMP, und damit man einfach auch als pharmazeutischer Unternehmer sicher sein kann, dass man die bestmögliche Expertise für die Bewertung seines Zulassungsverfahrens bereitgestellt bekommt.

Moderation: Für die Prüfung kann die EMA bzw. der Ausschuss CHMP also auf die kompetentesten Köpfe aus allen Ländern der EU zurückgreifen.

G. Lang: Wir wissen, dass in den Behörden der Mitgliedsstaaten die Expertise zu bestimmten Indikations- und Therapiegebieten unterschiedlich verteilt ist, und das weiß der CHMP natürlich ganz genau, und die gucken dann immer, dass die bestverfügbare Expertise für das jeweilige Arzneimittel bereitgestellt wird. Und danach wird dann auch der Rapporteur ausgesucht.

Moderation: Sehr viele der klugen Köpfe steuert Deutschland bei, aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte – kurz BfArM – sowie dem PEI, also dem Paul-Ehrlich-Institut.

G. Lang: Nachdem UK aus der Europäischen Union ausgeschieden ist, hat Deutschland die meisten Rapporteurschaften in der Europäischen Union übernommen. Was ein sehr deutliches Zeichen für die hohe Anerkennung und die große Expertise, die es in den deutschen Bundesoberbehörden – so heißen die Zulassungsbehörden formell richtig – in Deutschland, wie groß die angesiedelt ist. Und diese Rapporteurships werden dann natürlich entweder von BfArM oder vom Paul-Ehrlich-Institut übernommen, und es gibt da in Deutschland auch eine Aufgabenteilung. Das ist auch ein bisschen historisch bedingt, durch die unterschiedlichen Aufgaben, die die beiden Bundesoberbehörden haben. Man kann es, wenn man es einfach formulieren will, sagen: Das BfArM ist im Prinzip zuständig für alle kleinen Moleküle. Also alles, was chemisch synthetisiert werden kann und was nicht biologisch ist. Und das Paul-Ehrlich-Institut ist zuständig im Wesentlichen für alle Biologika, alle Produkte, die aus Blut hergestellt werden und natürlich auch die Impfstoffe. Und das hat einfach was mit der Historie auch des Instituts, des Paul-Ehrlich-Instituts, zu tun. Das ursprüngliche Institut, das heute das Paul-Ehrlich-Institut ist, hatte die Aufgabe, ich glaube, es war Ende des 18. Jahrhunderts, die Qualitätskontrolle der Diphtherie-Seren zu überprüfen. Man hatte nämlich damals auch schon festgestellt, dass diese Seren unterschiedliche Qualität hatten und hat gedacht, das ist wichtig, dass es eine staatliche Stelle gibt, die das auch prüfen kann.

Moderation: Eine besondere Expertise hat das BfArM nicht nur, aber auch im Bereich der Krebsmedizin.

G. Lang: Wenn man im Kopf hat, dass das BfArM ja eine sehr große Behörde ist – und ich glaube, das hat im Moment etwa 1.200 Mitarbeiter –, und das BfArM sagt von sich, dass sie im Wesentlichen alle wichtigen Therapiegebiete abdecken können und tun das auch gegenüber der EMA mit ihren Rapporteurships, aber einer der Schwerpunkte ist auf jeden Fall auch die Onkologie.

Moderation: Georg Lang ist mit seiner Abteilung auch involviert, wenn es in der Entwicklungsphase neuer Therapien in den Austausch und Diskurs mit den Behörden geht.

G. Lang: Da geht es dann einfach darum, gemeinsam die Positionen zu verstehen, wo dann potenziell Abweichungen sind oder auch, wenn die Rapporteure zum Beispiel Defizite sehen würden. Dass man mit denen zusammen dann einfach auch bespricht, wie können wir diese Defizite denn auch auflösen. Und da gibt es natürlich auch die Beratung bei der EMA, aber es gibt auch Situationen, in denen es sehr viel Sinn macht, bevor man zum Beispiel zur EMA geht, dass man vorher mit den nationalen Behörden spricht. Und da würden wir dann auch zum BfArM oder zum PEI gehen, zusammen mit unseren internationalen Kollegen, mit den Fragestellungen, die uns gerade interessieren für die nächsten Schritte unserer Entwicklungen.

Moderation: Besonders wichtig ist der Dialog bei ganz neuen Arten von Therapien.

G. Lang: Dadurch, dass wir ja so innovativ unterwegs sind, beackern wir bei Pfizer durchaus auch Felder, für die es noch keine abschließenden Regelungen auch gibt. Wo man dann zusammen mit den Behörden, mit den Bundesoberbehörden, mit den Wissenschaftlern reden muss und sagen muss: Okay, was kann denn jetzt der richtige Weg sein vor dem Hintergrund einer fehlenden Regularie dazu? Was ist, was ist aus wissenschaftlicher Sicht der richtige Weg, die Entwicklung dieses speziellen Arzneimittels weiterzuverfolgen? Also da geht es dann auch darum, ganz konkret an bestimmten Assets, wie wir sagen, also Entwicklungsprodukten, Problemlösungen mit denen zusammen zu machen. Und da ist es natürlich von großem Wert, wenn man auf die Expertise bei den Bundesoberbehörden zurückgreifen kann. Also man kommt damit auch sehr früh in den Dialog.

Moderation: Obwohl BfArM und PEI deutsche Behörden sind, spricht man übers Fachliche übrigens in englischer Sprache.

G. Lang: Wenn wir den Dialog führen, reden wir natürlich alle nur noch Englisch. Das ist sozusagen die Amtssprache, wenn man so will. Es ist nicht so, dass jeder Anruf, den wir beim BfArM oder Paul-Ehrlich-Institut machen, in Englisch ist, aber die Beratungsgespräche finden immer auf Englisch statt.

Moderation: Klassischerweise sind es pharmazeutische Hersteller, die eine Zulassung für Arzneimittel- oder Impfstoffkandidaten an die EMA herantragen. Denn es müssen einige Voraussetzungen gegeben sein – zum Beispiel speziell qualifizierte Personen, die auch persönlich haften.

G. Lang: Die wichtigsten Funktionen sind die sogenannten Qualified Persons. Also das sind quasi die Verantwortlichen. Und zwar gibt es da Verantwortliche für die Arzneimittelsicherheit und Verantwortliche auch für die Herstellung des Arzneimittels. Die muss man unbedingt haben. Weil, es gibt wirklich bei der Herstellung, bevor jede Charge, jede Packung eines Arzneimittels überhaupt in den Markt geht, gibt es eine verantwortliche Person in den pharmazeutischen Unternehmen, die diese Charge freigibt für den Markt. Und das bedeutet, dass die noch mal prüft, ob alle Kriterien der Qualität, die in der Zulassung festgelegt worden sind, für jede einzelne Charge auch erfüllt wird.

Moderation: Die vielen Vorschriften machen es für kleinere Unternehmen manchmal auch schwer, einen Antrag zu stellen, sagt Georg Lang. Das gilt auch für Start-Ups oder Universitäten, die Arzneimittelforschung betreiben. Doch auch hier tut sich was.

G. Lang: Da gibt es zum Beispiel bei der EMA spezielle Fördermechanismen für kleine Firmen oder auch für die Universitäten, die sich dann durch die EMA speziell beraten lassen können, auf der einen Seite von der technischen Seite – wie muss ich denn eigentlich so einen Antrag ausfüllen, wie muss der denn eigentlich formell aussehen –, aber was ich vielleicht fast noch wichtiger finde, ist wirklich einfach auch, dass es sehr dezidierte Hilfestellungen für die Entwicklung des Arzneimittels auch gibt. Also da ist man sich natürlich bewusst darüber, dass dadurch, dass man so dezidierte und hohe Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit hat, das nicht ohne Weiteres für alle zu stemmen ist. Dass die großen Player in der Pharmaindustrie das können, ist gar keine Frage, aber man ist sich sehr bewusst darüber, dass die kleineren und gerade auch die Universitäten da eine besondere Unterstützung dabei brauchen. Und die kriegt man da auch.

Moderation: Auch nach einer Zulassung bleiben Hersteller und Behörden in engem Austausch miteinander. Beispielsweise müssen bei der EMA regelmäßig Sicherheitsberichte eingereicht werden. Es muss weiter untermauert werden, dass ein Arzneimittel – so wie es zugelassen ist – effektiv und sicher in der Anwendung ist. Sollte sich an der Datenlage etwas ändern, wird das Verhältnis von Wirksamkeit und möglichen Risiken neu bewertet und, wenn nötig, die Zulassung bzw. die Anwendungshinweise angepasst. Damit Medikamente und Impfstoffe ihre Wirkung entfalten können, müssen sie zu den Menschen gelangen, denen sie helfen sollen. Bei der Versorgung spielen unter anderem fast 20.000 Apotheken in Deutschland eine große Rolle. Um sie zu beliefern, braucht es den Pharmagroßhandel und eine ausgeklügelte Logistik. Wie die Tablette zu den Patientinnen und den Patienten kommt, wird das Thema der fünften Folge sein. Erfahren Sie mehr über Pfizer und diesen Podcast auf unserer Website www.pfizer.de. Wenn Ihnen „Charles² – Pharma Insights“ gefällt, empfehlen Sie uns gern weiter. Natürlich freuen wir uns auch wenn Sie uns Abonnieren und über Bewertungen in der Apple-Podcast-App. Wenn Sie mögen, bis zum nächsten Mal.